Für Erwachsene

Näähglück-Adventskalender: Kleid Aino für die skandinavische Dame

Dieses Jahr wollte ich beim Probenähen für den Näähglück-Adventskalender zum allerersten Mal alle Projekte mitnähen. Ich hatte ja diesen Herbst mehr Zeit als sonst. Webware ist allerdings nicht mein Lieblingsthema, und es stand früh fest, dass der Adventskalender ein Kleid aus Webware enthalten sollte. Ich war sehr versucht, an der Stelle doch zu kneifen. (Übrigens habe ich das Tuch vom ersten Tag dann doch unterschlagen und nicht alles mitgenäht.)

Den Schubs gegeben hat mir ein Paket zu meinem Geburtstag im Oktober. Ich habe eine wundervolle Freundin, die mir seit Jahren zum Geburtstag einen großen Stoff schenkt – und zwar gleich vorgewaschen, damit ich sofort losnähen kann. Sie hat ein Händchen dafür, mir Stoffe auszusuchen, die ich selbst nicht in die Hand genommen hätte, über die ich mich aber jedes Mal tierisch freue, weil sie mich aus meinem Beuteschema locken und mir so gut gefallen. Die letzten drei Stoffe waren Jersey und Jacquard, aber dieses Jahr habe ich ihr Paket geöffnet und drei Meter Popeline aus der Hamburger-Liebe-Kollektion „In my kitchen“ erblickt. Ich hätte den wahrscheinlich schon wegen des Namens nicht angefasst, weil ich ihn mit Schürzen und Hauskitteln assoziiert hätte. Aber er trägt ein feines, skandinavisch anmutendes Muster in Petrol und Blau auf Naturweiß, überhaupt nicht trutschig oder muttihaft.

Damit war klar: Ich muss auch das Näähglück-Kleid nähen. Wenn ich schon so einen Stoff zum Geburtstag kriege, den ich nicht mal waschen muss, sondern sofort zuschneiden kann, und der vor meinem inneren Auge auch noch so gut zu den finnischen Näähglück-Namen passt, dann gibt es keinen Ausweg.

Also habe ich die elenden 42 Seiten des Schnittmusters zusammengesetzt und dann überlegt, wie ich das wohl auf meine Statur angepasst kriege. In der Maßtabelle lag ich bei 42 (Brust), 46 (Taille) und 44 (Hüfte), meine breiten Schultern sind da aber noch nicht berücksichtigt, die kommen meist bei Größe 52 raus. Am Ende habe ich 44 gewählt, vier Zentimeter an den Schultern zugegeben und beschlossen, dass ich im Zweifel ein bisschen den Bauch einziehe…

Da der Schnitt für Menschen mit 168 cm Körperlänge gradiert ist, ich aber 184 cm messe, habe ich dem Kleid 15 cm zusätzliche Länge am Saum und drei an den Ärmeln gegönnt. Das fand ich schon mal eine Herausforderung, bis endlich alle Schnitteile vor mir lagen. Stolz wie Bolle war ich, dass ich daran gedacht habe, die Schulterweite auch an den Belegteilen am Ausschnitt zuzugeben. Ha!

Die Anleitungen im Probenähen bestehen meist noch aus einer Reihe Stichpunkte, in etwa wie eine Anleitung in der Burda, nur umgangssprachlicher. An den Dreiecken vorn und hinten sollte man „Buchecken nähen“. Das musste ich erst mal googeln, hab es mir gründlich angeguckt, brav gebügelt und am Ende festgestellt, dass das bei den Dreiecken für „Aino“ nicht funktioniert. Buchecken haben klassisch einen 90-Grad-Winkel. Diese Dreiecke aber nicht. Also habe ich mit dem Geodreieck hantiert, bis ich eine saubere Spitze geschafft hatte. Und ich liiiiebe Mathe und Geometrie!

Ansonsten ist das Kleid nicht so schwer zu nähen, bis auf die zwei Abnäher im Vorderteil, die ich auch nicht so richtig anfängergeeignet fand. Ich habe einen Vormittag und zwei Abendstunden für das Projekt gebraucht, auch wegen des peniblen Bügelns. Zugeschnitten hatte ich aber vorher, das zähle ich nicht mit.

Die Säume habe ich erst mal nur gesteckt, damit ich anprobieren kann, ob das Kleid so überhaupt nach irgendwas aussieht. Die Dreiecke kann man mit Bindebändern oder mit Haken und Ösen schließen, im finalen Schnitt gibt es außerdem zwei verschiedene Dreieck-Formen zur Auswahl. Auch das habe ich erst mal nicht gemacht, sondern Sicherheitsnadeln verwendet.

Hmm, also den ersten Blick in den Spiegel fand ich doch erst mal ziemlich „in the kitchen“. Sowohl die Ärmel als auch das ganze Kleid hatten eine Länge, die ich nicht spontan mit Menschen in meinem Alter verbinde, sondern mit Personen, die den Titel „Dame“ verdienen. Auf den dritten Blick mochte ich es dann aber doch ziemlich gern. Für den Herbst und in Kombination mit Stiefeln hat das Kleid eine gute Länge, da sieht ein Saum deutlich oberhalb des Knies auch seltsam aus.

Die Ärmel habe ich allerdings nach der Rückmeldung der Schnitt-Erstellerin noch um vier Zentimeter gekürzt, weil sie nach ihrer Vorstellung doch anders sitzen sollten. Sie haben etwas von Hemdbluse, und das ordne ich – völlig subjektiv – klar in den skandinavischen Raum ein. Für meinen Geschmack, und in einem anderen Stoff, könnte das Kleid gut die schwedische Kronprinzessin Victoria tragen, wenn sie den Jungen-Hauswirtschaftskurs einer progressiven Grundschule besucht und sich die selbstgerollten Fleischklößchen vorführen lässt. Kleider machen bekanntlich Leute. Vielleicht sollte ich öfter solche hochseriösen Stücke tragen.

Nicht so wahnsinnig vorteilhaft fand ich erst mal, dass die Dreiecke so groß sind. Das empfinde ich als eher flächig als gefällig auf dem Oberkörper. Deshalb habe ich mich am Ende für Bindebänder entschieden, die noch mal Kontur auf die Fläche bringen. Dafür habe ich die Zähne zusammengebissen, einen Schrägbandformer aus der Kramkiste gebuddelt und wirklich, echt, ehrlich Schrägband selbstgemacht: Stoffstreifen mit 25 Millimeter Breite durch den Former gezogen und gebügelt auf zwölf Millimeter, gefaltet und knappkantig abgesteppt auf sechs Millimeter. Danach hab ich mich gefühlt wie die Musterschülerin, als ich auf dem Sofa saß und die Dinger per Hand hinter die Dreiecke genäht habe.

Auf jeden Fall freu ich mich total über mich selbst, dass ich ohne Prokrastinieren tatsächlich ein Webware-Kleid genäht habe, das an den Schultern passt (!!!) und aus einem Stoff besteht, in dem ich mich so wohl fühle. Ganz bestimmt ziehe ich das Kleid dieses Jahr Weihnachten an und freue mich daran. Und ich fand ein wirklich schönes Gefühl, ein Webware-Projekt ohne Frust und Auftrennen geschafft zu haben, weil ich genug Zeit und Muße hatte, alle Schritte vorher zu verstehen.

Bei den anderen Näherinnen im Probenähen saß das Kleid deutlich näher am Körper und war dann durch die Dreiecke figurbetont. Meines ist also eigentlich zu weit. Aber ich mag das und fühle mich darin wohl, weil es mir Bewegungsfreiheit lässt.

Der Schnitt wurde mir im Rahmen des Probenähens kostenlos zur Verfügung gestellt.

Verlinkt zu The Creative Lover, der Linkparty Kleider, Nähzeit am Wochenende

4 Kommentare zu „Näähglück-Adventskalender: Kleid Aino für die skandinavische Dame

    1. Ich kann das gut verstehen, mir ging es ja auch so! An dem Kleid ist wirklich erleichternd, dass es erst durch die Dreiecke tailliert wird und ansonsten eher lose sitzt, da muss man nicht auf den Zentimeter genau anpassen. Das hat mir schon im Kopf total geholfen.

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