Allgemein · Für Erwachsene

Basteln mit Körpermaßen

Im November habe ich beim Probenähen für den Näähglück-Adventskalender mitgemacht – weniger intensiv als geplant, aber mein Freizeitwert gab einfach nicht mehr her. Der Kalender enthielt ein Raglanshirt für Damen. Das hatte ich schon lange sehnsüchtig erwartet, weil es in meinem Schnitt-Repertoire völlig fehlt, und war ganz optimistisch.

Der Schnitt hat Brustabnäher und kann entweder mit kleinem Stehkragen oder mit normalem Halsausschnitt genäht werden. Schön finde ich, dass der Ärmel zweigeteilt ist, um auf der Schulter eine optimale Passform zu erreichen. Schultern sind meine persönliche Achillesferse. Die Näähglück-Schnitte haben in Größe 44, die mein Brustumfang fordert, eine Schulterweite von 36 Zentimetern. Ich brauche 41. Also muss ich auf Höhe der Schulternaht fünf Zentimeter zugeben, ohne dass sich der Schnitt am Bauch ändert und die Proportionen verschoben werden. Meist lege ich die Teile einfach mit Winkel zum Bruch an, so dass sie unten anliegen und oben 2,5 Zentimeter entfernt von der Bruchkante sind. Das ergibt dann einen größeren Halsausschnitt, und auf meine Körperproportionen finde ich das meist sogar ganz schön.

Bei diesem Langarm-Stehkragen-Shirt, das getestet werden sollte, wollte die Schnitterstellerin aber keine Änderungen am Halsausschnitt bzw. Kragen und hat mir deshalb eine Zeichnung gemacht, wie ich den Schnitt ändern muss, um mehr Schulterweite bei gleichem Ausschnitt zu erreichen. Ich habe das tapfer umgesetzt und fand mich seeehr geduldig, alle Schnittteile zu zerteilen und neu zusammenzubauen.

(c) Sophie Kääriäinen

Hinten ging es nämlich ganz gut, vorn dagegen überhaupt nicht. Auf der Zeichnung ist der Ausschnitt sehr flach. Vorn hat das Shirt aber einen deutlich steileren Ausschnitt, und die Linie führte genau auf dessen Linie. Ich hatte also keine Mehrlänge im Ärmel, und damit haben Vorder- und Hinterärmel nicht mehr zusammengepasst. Beim ersten Teststück habe ich das ignoriert und einfach stärker am Jersey gezogen. Ich war genervt.

Von hinten war ich mit der Passform ganz zufrieden. Genug Platz an den Schultern, keine allzu schlimmen Falten auf Brusthöhe und nicht zu eng am Bauch. Das soll so. Von vorn fand ich das Teststück schrecklich.

Ich habe zum Anprobieren meinen alleroptimistischsten BH untergezogen, aber das Vorderteil schlägt solche Falten, dass ich das gleiche Oberweitenvolumen locker noch mal darin hätte unterbringen können. Die Brustabnäher sind und waren mir viel, viel zu groß.

Selbst mit ausgiebigem Ziehen, Zuppeln und Spannen war da nichts zu machen, das Ding ist einfach untragbar. Ich habe einen breiten Rücken, aber nicht wahnsinnig viel Oberweite, und das kann eine Maßtabelle nun mal nicht erfassen.

Außerdem hatte ich meine Ärmel unten verlängert statt auf Ellbogenhöhe, und die spannten nun am Unterarm. Für das nächste Teststück habe ich also zusätzlich zu meinen Änderungen noch den Brustabnäher rausgedreht. Meine Schnittteile sahen dann so aus:

Ein bisschen hat das was von geflickten OP-Nähten, und so fühlte sich der Prozess auch an. Ich habe noch nie so viel Zeit auf das Anpassen eines Schnittmusters verwendet und habe mich zwischendurch gefragt, ob nicht einfach besser wäre, ein anderes auszuprobieren.

Mein zweites Test-Raglanshirt mag ich aber immerhin. Ich habe einen Lillestoff-Wolljersey verwendet, der erstaunlich wenig kratzt. Weil die Länge nicht ganz reichte, hat das Oberteil ein breites Saumbündchen bekommen, und weil ich Rollkragen nicht mag, habe ich den Kragen deutlich weiter geschnitten.

Das Oberteil ziehe ich nun total gern an, auch im Büro. Allerdings würde ich auch hier nicht sagen, dass es toll sitzt. Es schlägt immer noch Falten, nur eben jetzt vermutlich wegen des fehlenden Brustabnähers.

Die finde ich aber weniger schlimm als diesen tütenförmigen, ungefüllten Brustbereich im ersten Oberteil.

Erfreulich in Sachen Passform sind für meinen Geschmack immer noch die zweigeteilten Ärmel. Ich habe zwar verpennt, wie ich die Streifen ideal schneiden müsste, aber man kann nicht alles haben.

Dafür mag ich aber den Sitz an Rücken und Schultern, der ist wirklich gut geworden.

Der Kragen wäre bei diesem weichen Stoff sowieso kein Stehkragen geworden, also ist auch egal, dass ich ihn so viel weiter gemacht habe. Ich finde das jedenfalls viel bequemer.

So richtig vom Hocker haut mich der Schnitt trotz aller Mühen und Anpassungen am Ende immer noch nicht. Irgendwie hat er mehr Hüfte als ich, und richtig im Reinen bin ich mit der Größenwahl auch nicht. Dafür, dass ich mich auf den Schnitt so sehr gefreut hatte, bin ich irgendwie frustriert, ohne klar einordnen zu können, ob das am Schnittmuster liegt oder an meinen Nähkünsten. Schade.

Immerhin hat das gesamte Projekt aber einen positiven Aspekt in der Rückschau: Ich habe geduldig und immer wieder mit Papier und Klebeband am Schnitt rumgepopelt, ohne die Stücke entnervt zu zerknüllen oder einfach in die Papiertonne zu feuern. Angesichts meines Alltag-mit-drei-Kindern-Nervenkostüms finde ich das meine persönliche Glanzleistung.

Verlinkt zu The Creative Lover, Freutag und Nähzeit am Wochenende

Diesen Schnitt habe ich im Rahmen des Probenähens kostenlos erhalten.

4 Kommentare zu „Basteln mit Körpermaßen

  1. Die Zwei Sachen hast du toll genäht, sehen so hübsch aus! Glanzleistung, dass du dran geblieben bist und es fertig bekommen hast!
    Schönes Wochenende wünsche ich dir
    Lieben Gruss Elke

    Gefällt 1 Person

  2. Schade, dass der Schnitt nicht sitzt wie erhofft, vor allem nach all der Arbeit, die du da reingesteckt hast.
    Das ist in einem Alltag mit sehr begrenzter Näh- Zeit besonders ärgerlich!
    Ich hätte das nicht durchgezogen, sondern frustriert was schnelles für ein Kind genäht 😉
    Das zweite Shirt gefällt mir dennoch recht gut.
    Viele Grüße Christina

    Gefällt 1 Person

  3. Liebe Meike, Hut ab, dass Du Dich hier durchgebissen hast! Ich finde, allein wie das Schnittmuster aussieht…da kannst Du Dir wirklich sehr auf die Schultern klopfen. Schade, dass die weiße Variante nicht gut passt, optisch finde ich die nämlich extrem super! Aber auch der zweite Versuch ist klasse, ich kann verstehen, dass Du es gerne trägst 🙂 Liebe Grüße! Karin

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