Vor ein paar Tagen hatte ich über den Kleiderwunsch des kleinen Stöpsels berichtet. Als ich mit ihm am Stoffregal zugange war und Stoffe zur Auswahl rausgesucht habe, kam der große Stöpsel an und erklärte, er wolle auch ein Kleid. Ein Raketenkleid. Hmm. Erst mal war ich baff. Der große Stöpsel hat ein Kind mit sehr aktiven CDU-Eltern in der Kita, das offenbar sehr dominant und sehr gehässig Geschlechterklischees und Markenorientierung propagiert – jedes Mal, wenn mein Kind irgendein Kleidungsstück nicht mehr anziehen will und ich nach dem Grund frage, ist das ein blöder Spruch dieses CDU-Sprösslings. Und das geht bis zur Trinkflasche aus „falschem“ Material.
Jedenfalls muss ich zugeben, dass ich erst mal skeptisch war und wirklich gezögert habe, dem ellenlangen Sechsjährigen ein Kleid zu nähen. Im zweiten Moment fand ich das aber doof von mir und war froh, dass ich die Skepsis nicht gezeigt hatte. Soll er doch wenigstens zu Hause anziehen, was er mag! Meine verbleibende Vorsicht habe ich aber bei der Stoffwahl walten lassen. Der große Stöpsel hat sich nämlich zuerst einen Raketenstoff ausgesucht, von dem ich eineinhalb Meter für Hosen und Pullis gekauft habe – sehr schön, aber echt teuer und eher warm. Für ein Sommerkleid irgendwie nicht die ideale Wahl.
Prima einigen konnten wir uns auf den Lillestoff Baustellenfahrzeuge. Und den fand ich dann auch eine klasse Wahl, weil ein Kleid in Größe 128 wenigstens mal nennenswert diese großen Motive abbildet und nicht jeder Kran irgendwo abgeschnitten ist oder man ewig puzzeln muss, damit es ein ganzer Kran aufs Vorderteil schafft.Mein Schnitt der Stunde war das Freebook Strandkleid von Lillesol & Pelle, das man über deren Facebook-Gruppe bekommen kann. Ich habe es schon mehrmals genäht und finde immer wieder schön, wie einfach der Schnitt ist. Einziger Kritikpunkt: Eigentlich ist er für das deutsche Durchschnittskind etwas zu schmal. Ein bisschen mehr Luft hätte dem Schnitt nicht geschadet.
Ich habe ihn hier unverändert genäht, und viel Platz ist nicht geblieben. Gut, mein kleiner Kerl hat auch gerade einen Wachstumsschub, schießt in die Höhe wie gedüngt und kann so viel gar nicht nachessen, insofern passt ihm die schmale Silhouette super. Für uns ist der Schnitt also gerade praktisch.
Ich habe die Ärmelstreifen einen halben Zentimeter schmaler gemacht als den Halsloch-Streifen, ohne besonderen Grund, aber man sieht das am Ergebnis tatsächlich. Und ich mag den Effekt, auch wieder ohne sagen zu können, warum.
Für den Saum habe ich einen Zierstich ausgewählt und hatte den sogar vorher auf einem Rest getestet; ich wollte etwas Handfestes, das zur Baustelle passt, und hatte bei den Kreuzen eine „Vorsicht, Achtung!“-Assoziation. Auf dem gesamten Saum sieht es aber eher nach Sternen aus, und das passt für meinen Geschmack kein bisschen zum Stoff.
Egal, immerhin stimmt die Farbe.
Und ich hab mich wirklich riesig gefreut, als der große Stöpsel beim Nachhausekommen alles abgeworfen, das Kleid übergestülpt hat und losgetobt ist. Er hat abends verweigert, es auszuziehen, und darin geschlafen. Selbst, wenn es ab jetzt „nur“ Nachthemd wäre, fänd ich den Stoff prima investiert.Als ich meinem „bekleideten“ großen Sohn beim Spielen zugesehen habe, gebe ich ja zu, hat mich stolz und zufrieden gemacht, dass unsere Kinder erkennbar im Vertrauen darauf aufwachsen, zu Hause eine klischee- und Hänselei-freie Zone zu haben. Da haben wir doch einiges gut gemacht!
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Ich finde das Kleid ganz große Klasse und bin einmal mehr entsetzt über Menschen, die nicht nur selbst in Schubladen denken, sondern das auch ihren (kleinen) Kindern einimpfen. Gut, dass wir unseren Kindern wenigstens zu Hause Raum ohne Schubladendenken ermöglichen können.
Liebe Grüße! Tina
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Hallo Tina, du sprichst mir aus dem Herzen. Ich habe immer wieder den Impuls, diesen Eltern etwas zu sagen, aber sie sind Mitte und Ende Fünfzig. Da werde ich mit keinem Argument oder Denkanstoß landen können. Also bestärke ich mein Kind zu Hause und hoffe, dass es für seine Generation etwas ändert.
Liebe Grüße!
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Ey, wie jetzt!? Ich werde in ’nem halben Jahr 60 und finde das Stöpselchen im Baustellenkleid sehr süß – erst recht nach dem Satz, wie er die Klamotten von sich wirft und das Kleidchen anzieht und nicht mehr ausziehen mag – und deine souveräne Genderklischeefreiheit ganz und gar wunderbar!
Aber ich hab auch noch nie CDU gewählt, vielleicht liegt’s daran …
Ich kenne doch so einige Männer, die zuhause immerhin (!) in arabischen Djellabahs herumlaufen, da ist der Schritt zum locker sitzenden Jerseykleid gar nicht mehr so groß.
Nächste Generation vielleicht. Schau’n mer mal.
Schön zu sehen, daß es Kinder gibt, die SO aufwachsen dürfen. Fühl‘ dich dafür virtuell umarmt!
Daß es sauber genäht ist und einfach prima aussieht – gerade mit dem halben cm weniger an den Ärmelblenden – ist ein anderes Thema.
Hut ab, Werteste!
Susanne aus Düsseldorf
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Liebe Susanne, danke erst mal für deinen tollen Kommentar!
Ich hoffe und glaube, du hast meine Einschätzung der Spießereltern nicht als allgemeine Altersdiskriminierung verstanden. Eher meinte ich, dass die mich, mit zwanzig Jahren weniger Lebenserfahrung, nicht als ernstzunehmend betrachten, wenn es um Erziehung und Prägung von Wertmaßstäben geht.
Die Stöpsel-Oma ist auch gerade 60 geworden und findet die Kleider total niedlich, aber die hat auch noch nie CDU gewählt 😉
Viele liebe Grüße aus Berlin!
Meike
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Super !
Manchmal hab ich auch gehofft, dass einer meinen Buben einen Kleiderwunsch äussern wird, denn ich hätte gern mal eins genäht für sie. Wenn ich sonst schon kein zu benähendes Mädel hab.
Lg Iris
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Na immerhin hast du Nichten und einen anprobierwilligen Sohn, hab ich gesehen. Aber es stimmt schon, ich freu mich wirklich über die Abwechslung durch die Kleiderwünsche.
Liebe Grüße!
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Das ist ein schönes Kleid. Der Stoff ist wirklich gut auf der großen Fläche.
Viele Grüße von Maryme
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